Als Thorsten und sein Mann Micha 2022 den mittelalterlichen Katzenturm in Oberwesel kauften, haben ihre Freunde sie für verrückt erklärt. Thorsten hatte erst kurz zuvor, mit Anfang 40, die Diagnose Parkinson erhalten. Neben Sprachstörungen und Spastiken bedeutet dies auch, dass ihm das Laufen zunehmend schwerer fällt – und dann in einen Turm ziehen mit 78 Treppen und 4 Etagen?!
Egal, dachten sich Thorsten und Micha. Und tun es einfach. „Wir wollen die Zeit im Hier und Jetzt nutzen, solange es halt noch geht“, sagt Thorsten.
Den Katzenturm hatte Thorsten im Internet entdeckt. Gleich am nächsten Tag haben sie ihn besichtigt: „Das war der Sechser im Lotto.“ Der Turm wurde 1350 erbaut und ist Teil der Stadtmauer von Oberwesel im Mittelrheintal. Insgesamt 47 m² stehen den beiden in ihrem Domizil zur Verfügung, verteilt auf vier Etagen. Tiny Living im mittelalterlichen Gemäuer. Nicht viel teurer als eine kleine Eigentumswohnung sei der Turm gewesen, erzählt Thorsten. Er und Micha konnten ihn sich leisten, weil Thorsten seine Agentur verkauft hat. Fast 20 Jahre lang war er selbstständig, hat europaweit Hochzeiten und große Firmenevents inszeniert.
Nachts liegt Thorsten wegen seiner Krankheit oft wach. Während der Renovierung nutzte er die Zeit, um im Internet nach Einrichtungsdetails zu stöbern und sich ein Konzept für den Turm zu überlegen. So manche Idee wurde allerdings auch wieder verworfen. Ursprünglich sollten im Erkerzimmer noch alte Vogelkäfige unter der Decke hängen. „Aber der Raum wirkte damit einfach zu voll“, sagt Thorsten – jetzt stehen die Käfige vor dem Eingang auf der alten Stadtmauer.
Die Außenfassade ihres mittelalterlichen Turms ist denkmalgeschützt. „Als wir das erste Mal abends im Erker saßen, wurden wir plötzlich von hellen Scheinwerfern angestrahlt“, erzählt Micha. „Wir dachten schon, das GSG9-Kommando steht vor der Tür.“ Aber es war nur die Außenbeleuchtung, die die Stadt Oberwesel jeden Abend anstellt. Und es gibt noch etwas, an das sich Thorsten und Micha gewöhnen mussten: Unmittelbar vor ihrem großen Erkerfenster verlaufen die Bahnschienen an ihrem mittelalterlichen Tiny House vorbei. „Wenn wir das mal von außen putzen wollen, müssen wir auf einen Bahnstreik warten.“ Manchmal minütlich fahren die Güter- und Personenzüge an Thorsten und Michas Wohnzimmer vorbei. Der Lärm sei aber auszuhalten. Immerhin sind die Mauern des Turms 1,50 Meter dick. Das hält viel ab. Und irgendwie sei es auch ganz spannend, die Züge zu beobachten. Trainspotting direkt vor der Haustür.
Geheizt wird der Turm mit einem alten Holzofen. „Im Winter müssen wir immer gucken, dass wir genug Holz dahaben und dass das Feuer nicht ausgeht“, erzählt Thorsten. Ergänzt wird der Ofen noch durch eine 25 Jahre alte Gasetagenheizung. Die muss jedoch bald erneuert werden. „Wir überlegen noch, was der richtige Energieträger für den Turm wäre.“ So richtig einschätzen können Thorsten und Micha ihre Energiekosten noch nicht. Der Vorbesitzer hatte nur am Wochenende dort gewohnt, deswegen können die beiden seine Kosten nicht einfach auf ihre Situation übertragen.
Das Projekt Katzenturm ist noch nicht ganz fertig. Als nächstes steht das Badezimmer an. Im holländischen Stil soll es eingerichtet werden mit einer Tapete, auf der Delfter Geschirr zu sehen ist. „Micha und ich haben oft in Holland Urlaub gemacht“, sagt Thorsten. „Das war unser Ausgleich, als meine Agentur geboomt hat und unser Leben sehr stressig war.“
Der Turm markiert für Thorsten und Micha einen Wendepunkt – vom Leben unter Dauerdruck zu mehr Ruhe und Ausgeglichenheit. „Ich habe durch die Diagnose Parkinson festgestellt, dass sich innerhalb von einem Tag deine Zukunft komplett verändert werden kann. Und deshalb ist es einfach wichtig, sich jetzt die Wünsche zu erfüllen und das zu tun, wonach gerade das Herz ruft.“
Ein Film von Gesa Walch (Redaktion), Frederik Dietz (Kamera), Yannick Gaul (Kamera und Ton) und Abdullah Rajab Almallah (Schnitt).
00:00 Tiny Living im mittelalterlichen Turm
01:00 Erker-Zimmer
04:35 Küche
07:20 Fernseh-Zimmer
10:29 Sch(l)afzimmer
12:55 Dachterrasse
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