64 Somit ist jeder organische Körper eines Lebewesens eine Art göttlicher Maschine oder natürlicher Automat, der alle künstlichen Automaten unendliche übertrifft. Denn eine durch menschliche Kunst gefertigte Maschine ist nicht maschinell in jedem ihrer Teile. Beispielsweise: Der Zahn eines Messingrades enthält Teile oder Bruchstücke, die nicht mehr künstlich sind, da man aus ihnen allein nicht den Zusammenhang erkennen kann, in welchem sie eine Rolle spielen. Natürliche Maschinen dagegen oder Organismen, sind maschinell noch in ihren kleinsten Teilen, bis ins Unendliche. Darin besteht der Unterschied zwischen Natur und Technik, zwischen der Kunstfertigkeit Gottes und jener der Menschen
65 Und der Urheber der Natur vermochte dieses göttliche und unendlich herrliche Kunstwerk herzustellen, weil jedes Stückchen Materie sich nicht nur unendlich zerlegen lässt, sondern auch unendlich gegliedert ist, alle Teile in Elemente, von denen jedes selbsttätig ist; denn andernfalls wäre es unmöglich, dass ein Detail der Materie das ganze Universum ausdrückt.
66 Woraus erhellt, dass die ganze Welt der Kreaturen – Organismen, Tieren, Bestrebungen und Seelen – noch im kleinsten Stückchen Materie anwesend ist.
67 Jedes bisschen Materie kann aufgefasst werden wie in einem Gartennetzwerk die Pflanzen oder in einer Teichgemeinschaft die Fische. Jeder Zweig aber in dem Garten, jede Gräte des Fisches, jeder Tropfen seiner Körperflüssigkeit ist ebenso ein Garten oder Teich.
68 Und wenn auch die Erde oder die Luft zwischen den Pflanzen des Gartens oder das Wasser zwischen den Fischen im Teich gewiss weder Pflanze noch Fisch ist, sind sie doch voll davon, wenn auch in einer Feinheit, die sich unserer Wahrnehmung entzieht.
69 Demzufolge gibt es nichts Ödes oder Unfruchtbares, nichts Totes im Universum, kein Chaos, keine Unordnung – nur dem Schein nach: wie in einem entfernten Teich, in dem man nur undeutliche und wimmelnd die Bewegungen der Fische wahrnimmt, ohne sie selbst gleich zu sehen.
70 Hieraus erhellt, dass jeder lebendige Körper von einem Streben beherrscht wird, welches in Kreaturen die Seele ist. Aber die Glieder solchen Körpers sind ebenfalls voll von Leben, Pflanzen oder Tieren, die ihrerseits von einem Streben oder einer Seele beherrscht werden.
71 Man darf sich aber nicht vorstellen wie einige, die meine Gedanken missverstanden haben (Bayle), jede Seele habe eine Masse oder Sache, der sie dauerhaft anklebt, und somit niedere Organismen, die ihr zu Diensten sind. Denn die Körper sind wie Ströme in Bewegung: Teile gehören ihnen an und verlassen sie wieder – unentwegt.
72 Insofern verändert der Körper der Seele sich nicht auf einmal, sondern allmählich, Stück für Stück; sie ist niemals ganz ihrer Organe beraubt. Deswegen kommt es zu Veränderungen bei den Tieren, aber niemals zur Seelenwanderung. Es kommen auch keine Seelen oder Geister ohne Körper vor. Nur Gott ist von allem losgelöst.
73 Aus diesem Grunde gibt es strenggenommen auch niemals eine wirkliche Zeugung oder einen vollständigen Tod, in dem die Seele sich von dem Körper trennt. Was wir Zeugung nennen, sind Entwicklungen und Wachstum, wie das, was Tod heißt, darin besteht, dass etwas abnimmt.
74 Die Philosophen waren zwar immer in Verlegenheit hinsichtlich des Ursprungs der Formen, Strebungen oder Seelen. Inzwischen ist nach genauerer Betrachtung der Pflanzen, Insekten und Tiere aufgefallen, dass die organischen Körper der Natur keine Erzeugnisse des Chaos oder der Fäulnis sind, sondern stets solche des Samens, in welchem sie zweifellos vorgeformt liegen. Man ist so der Ansicht, dass nicht nur der organische Körper vor seiner Zeugung anwesend ist, sondern in ihm eine Seele, ja das Lebewesen selbst, das vermittels der Zeugung lediglich sich weiter bildet aus seiner Latenz in einen Körper neuer Art. Sogar ohne Zeugung kann man dergleichen beobachten, wenn etwa Würmer zu Fliegen werden und aus Raupen Schmetterlinge kriechen.
75 Die Lebewesen, welche durch Fortpflanzung heraufgestuft werden, können spermatisch genannt werden. Jene unter ihnen, die nicht aus der Art schlagen, also die meisten, kommen zur Welt, pflanzen sich fort und gehen zugrunde wie die großen Tiere. Nur ein paar Spezialfälle sind ausersehen, eine größere Rolle zu spielen.
76 Das war aber erst die halbe Wahrheit; denn ich habe weiter finden müssen, dass Tiere keinen natürlichen Ursprung haben und deswegen auch zu keinem natürlichen Ende kommen können – dass es nicht nur keine echte Zeugung, sondern auch keine eigentliche Zerstörung, also strenggenommen keinen Tod, gibt. Diese Erfahrungen, welche ich gemacht habe, stimmen auch ganz mit den Ableitungen überein, die ich hier geschlussfolgert habe.
77. So kann man sagen, dass nicht nur die Seele (als Spiegel des beständigen Universums) unzerstörbar ist, sondern auch die Kreatur an sich, mag auch ihre körperlicher Maschine teilweise untergehen und organische Hüllen annehmen oder abwerfen.
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