"Mondnacht" ist das eine perfekte romantische Gedicht deutscher Sprache. "Mondnacht" bringt spirituelle Menschen zum wissenden Nicken, denn das ist ihr Lebensgefühl. Und das Gedicht rührt auch Materialisten an. Auch sie spüren in besonderen Momenten ihres Lebens: "Könnte es sein, dass ich... Teil eines größeren Ganzen bin?". Und das ist die Interpretation von "Mondnacht", diese magische Erfahrung, mit einem ewigen Sein verbunden zu sein. Das Erstaunliche: Das Gedicht beschreibt diese Lebenserfahrung nicht nur, es erschafft diese Magie für die, die sie noch nicht gefühlt haben.
Dabei sind diese 3 mal 4 Verse in holprigen Reimen verfasst: "Himmel" reimt sich auf "Schimmer", "spannte" auf "Lande". Und doch ist die Sprache anschaulich, klar und natürlich. Das allerdings macht den Spätromantiker Eichendorff aus, genau das.
Mit sympathisch fließender Handschrift schrieb Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857) seine Gedichte aufs Papier, immer mit leidenschaftlich ausladenden Ober- und Unterlängen. Auch "Mondnacht" entwarf Eichendorff 1835 mit diesem sichtbar emotionalen Drive - denn das Autograph des Erstentwurfs ist erhalten: In der ersten und zweiten Strophe korrigierte er viel, strich durch und krakelte - und bejubelte manche Zeile dann mit der Notiz "Ja! Ja!". Die dritte Strophe dann floss ihm direkt perfekt aufs Papier. Zwei Jahre später, 1837 wurde "Mondnacht" das erste Mal - mithilfe seines Freundes Adolf Schöll, der die aufwändige Editionsarbeit übernahm - bei Duncker & Humblot in Berlin in einem simpel mit "Gedichte" betitelten Band veröffentlicht.
Für Thomas Mann, den Fan schon von Eichendorffs Novelle "Leben eines Taugenichts" (1826), war "Mondnacht" die "Perle der Perlen" unter den deutschsprachigen Gedichten. Die Autorin Ulla Hahn sagt in ihrer jedem Gedicht-Nerd dringend empfohlenen Anthologie "Gedichte fürs Gedächtnis" (Penguin, 2001) das Treffendste zu "Mondnacht", das ich mir denken kann: "Innere und äußere Landschaft verschmelzen miteinander."
In die Untertitel des Videos habe ich die Verse für dich eingefügt, hier der Text zum entspannten Lesen:
JOSEPH VON EICHENDORFF
"Mondnacht", 1837
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt’.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
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Ob spiritueller Mensch oder Materialist:
Wenn sie kommt, genieß deine Mondnacht.
Volker
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