Nach ihrem Einmarsch in die Ukraine rücken russische Truppen immer näher an die Hauptstadt Kiew heran. Das russische Militär griff nach Angaben der ukrainischen Armee am Freitag auch nordöstlich und östlich von Kiew an. Zuvor war die Hauptstadt am Morgen nach Angaben der Regierung erneut aus der Luft beschossen worden. Die Nato berät am Freitag ebenso wie der UN-Sicherheitsrat über das weitere Vorgehen in der Ukraine-Krise. Die EU kündigte ein weiteres Sanktionspaket an.
Russische Einheiten seien in der nordöstlich von Kiew gelegenen Stadt Tschernihiw von den Regierungstruppen zurückgedrängt worden, teilte die ukrainische Armee mit. Daher versuche die russische Armee nun, nach der Eroberung der weiter östlich gelegenen Stadt Konotop von dort aus auf Kiew vorzurücken.
Zuvor war es auch in den nördlich von Kiew gelegenen Orten Dymer, das rund 45 Kilometer von Kiew entfernt ist, sowie Iwankiw, rund 80 Kilometer von der Hauptstadt, zu Gefechten gekommen. Später berichteten die ukrainischen Streitkräfte, der Vormarsch der russischen Truppen sei am Fluss Teteriw gestoppt worden. Das ukrainische Militär eroberte zudem nach eigenen Angaben einen Militärflugplatz in Hostomel nahe Kiew zurück.
Auch in der Hauptstadt selbst waren am Morgen laute Explosionen zu hören. "Schrecklicher russischer Raketenbeschuss auf Kiew", erklärte Außenminister Dmytro Kuleba auf Twitter. Die ukrainische Armee zerstörte nach eigenen Angaben zwei Raketen über Kiew im Flug. Bürgermeister Vitali Klitschko sprach von drei Verletzten durch Raketenteile.
Wenig später meldete das ukrainische Verteidigungsministerium erste Gefechte in Kiews nördlichem Stadtteil Obolonsky. Auch Explosionen waren dort nach Angaben eines AFP-Journalisten zu hören. Nach Ministeriumsangaben handelte es sich um eine Sabotageaktion eines russischen Aufklärungstrupps. Das Ministerium rief die Zivilisten in dem Viertel zu den Waffen.
Der Vormarsch der russischen Streitkräfte weckte Befürchtungen eines gezielten russischen Angriffs auch auf strategische Infrastruktur und Regierungseinrichtungen. Bereits am Donnerstag hatten in der Hauptstadt die Sirenen vor Luftangriffen gewarnt, die Menschen suchten unter anderem in U-Bahnhöfen Schutz.
In der südlichen Region Saporischschja meldete das Verteidigungsministerium am Freitagmorgen ebenfalls russischen Raketenbeschuss. Bei dem Angriff auf eine Einheit des Grenzschutzes habe es "Tote und Verletzte" gegeben.
Die russischen Truppen übernahmen zudem nach Angaben Moskaus die Kontrolle über einen wichtigen Wasserkanal zur Krim, über den die Ukraine bisher die Wasserzufuhr für die von Russland annektierte Halbinsel blockiert hatte. Russische Einheiten seien bis in die Stadt Cherson vorgedrungen.
Russland hatte am Donnerstagmorgen mit einem Großangriff auf die Ukraine begonnen. In mehreren Städten schlugen Raketen oder Artilleriegranaten ein. Russische Bodentruppen waren anschließend binnen weniger Stunden bis in den Großraum Kiew vorgedrungen. Am ersten Tag der Kämpfe waren nach Angaben Kiews 137 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden. Rund 100.000 Menschen sind nach UN-Angaben in dem Land auf der Flucht.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf der russischen Armee vor, bei ihren Angriffen auch auf zivile Gebiete zu zielen. "Sie sagen, dass zivile Objekte kein Ziel für sie sind. Aber das ist eine weitere ihrer Lügen", sagte der Staatschef in einer Videoansprache am Freitagmorgen.
Russland müsse "früher oder später" mit der Ukraine "sprechen", um die Kämpfe zu beenden, fügte er hinzu. Der Präsident kündigte an, er werde in der ukrainischen Hauptstadt bleiben, auch seine Familie sei in der Ukraine. "Nach unseren Informationen hat der Feind mich als Ziel Nummer eins ausgemacht. Und meine Familie als das Ziel Nummer zwei," sagte er.
Frankreich bezeichnete Selenskyjs Sicherheit als "ein Schlüsselelement" in der aktuellen Situation. "Wir können ihm helfen, falls es nötig wird", betonte Außenminister Jean-Yves Le Drian.
Die Nato hatte angekündigt, sie werde keine Truppen in die Ukraine entsenden, aber ihre Ostflanke verstärken. Selenskyj erklärte daraufhin, sein Land werde "allein gelassen". Für Freitag wurde ein Nato-Krisengipfel einberufen. Auch der UN-Sicherheitsrat wird sich am Freitag mit einer Resolution zur Ukraine befassen.
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