Am Dienstag ging es auf der documenta Schlag auf Schlag: Nach scharfer Kritik an antisemitischen Detailbildern des hausgroßen, an einem Gerüst am Kasseler Friedrichsplatz aufgehängten Werkes „People's Justice“ war dieses zunächst verhüllt und dann doch die Entfernung verkündet worden. Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), verkündete am Nachmittag den Beschluss.
Die Position der documenta-Leitung, das Kunstwerk der indonesischen Künstlergruppe „Taring Padi“ hängenzulassen, hatte keinen Bestand mehr. Die Berliner Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die hessische Kunstministerin Angela Dorn (beide Grüne) und Stimmen aus der jüdischen Welt hatten die Entfernung gefordert. Antisemitismus dürfe weder auf der Kunstausstellung noch in der deutschen Gesellschaft einen Platz haben, betonte Roth. Eine eindeutig antisemitische Bildsprache lasse sich nicht durch einen anderen Kontext erklären oder relativieren.
Dorn bekräftigte: „Antisemitische Inhalte dürfen nicht gezeigt und nicht reproduziert werden.“ Roth und Dorn forderten eine Aufarbeitung, wie es zur Aufhängung des Werkes nach einer monatelangen Diskussion um Antisemitismus-Vorwürfe gegen die „documenta fifteen“ kommen konnte.
Auf einem Detail des kritisierten Gemäldes ist ein Mann in Anzug und Krawatte zu sehen, die Augen rot unterlaufen. Aus seinem Mund ragen haifischartige Reißzähne, daneben eine Zigarre. Schläfenlocken hängen ihm herunter, das Jackenrevers ist gelb, die Signalfarbe der Juden im Mittelalter. Am Hut prangen die SS-Runen. Auf einem anderen Detail wird unter einem Kanonenrohr eine Person in Uniform gezeigt, sie trägt die Nase eines Schweins, das bei gläubigen Juden als unrein gilt und wie eine Aktualisierung der antisemitischen „Judensau“ des Mittelalters wirkt. Auf dem roten Halstuch ist der Davidstern zu sehen, auf dem Helm der Name des israelischen Geheimdienstes Mossad.
Die Berliner Vorsitzende des Förderkreises „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, Lea Rosh, hatte am Dienstag ebenfalls die Entfernung des Kunstwerks gefordert. Es handle sich um „Antisemitismus mit langer Ansage“, kritisierte sie. Die Betroffenheit der Verantwortlichen sei „gespielt“. „Überlebende des Holocausts verfolgen die desolaten Entwicklungen um die documenta fifteen mit Fassungslosigkeit“, sagte der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, in Berlin. Die Hintergründe der Entstehung des Werks müssten aufgeklärt werden.
„Ich bin wütend, enttäuscht und verletzt. Als Oberbürgermeister und als Stadt fühlen wir uns durch die antisemitischen Motive beschämt“, teilte der documenta-Aufsichtsratsvorsitzende Geselle mit. „Es ist ein immenser Schaden für unsere Stadt und die documenta entstanden.“ Es müsse nun aufgearbeitet werden, wie es zur Installation kommen konnte. „Trotz ihrer Bekenntnisse ist die künstlerische Leitung der documenta fifteen ihrer Verantwortung nicht nachgekommen, dafür zu sorgen, dass Antisemitismus, Rassismus sowie jede Art von Diskriminierung keinen Raum hat.“
Dennoch dürfe die „documenta fifteen“ nicht unter Generalverdacht gestellt werden, betonte Geselle. „Ich wünsche mir ein ehrliches, sachliches Podium der kritischen Auseinandersetzung, des offenen Diskurses und des voneinander Lernens“, sagte er.
Die Künstlergruppe „Taring Padi“ hatte erklärt, das 20 Jahre alte Werk sei Teil einer Kampagne gegen Militarismus und Gewalt in Indonesien. Darauf seien symbolische Figuren zu sehen, „um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren“. Die Gruppe versicherte, das Werk „steht in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung“. Die documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann fügte an, dass die Geschäftsführung keine Kunstwerke prüfe. Alle Beteiligten bedauerten, dass Gefühle verletzt worden seien.
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