#Hölderlin2020 #HölderlinMinutes
Für die Ausstellung "Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie" hat Hanns Zischler Hölderlins Gedichte nach den Manuskripten eingelesen. Da die Ausstellung zur Eindämmung von Covid-19 zur Zeit geschlossen ist, liest er in den nächsten Monaten noch mehr Poesie; Hölderlin, aber auch Schiller, Goethe, Klopstock, Mörike, Kerner, Rilke, Hofmannsthal, Benn, Celan ... Woche für Woche ein, zwei oder drei Gedichte als Geschenk. Passend dazu werden wir auf den social-media-Kanälen des Deutschen Literaturarchivs Marbach Objekte aus dem Archiv vorstellen.
Im Sommer 1935 schreibt Gottfried Benn, vom NS-Ärztebund ausgeschlossen und in Hannover als Sanitätsoffizier stationiert, eine Reihe von Gedichten auf die kleinen hellgelben Menükarten der Stadthalle. Nicht, weil er nichts anderes zur Hand gehabt hätte – fast alle Stadthallengedichte sind getippt, fast allen gehen Entwürfe in Tageskalendern und Arbeitsheften voran. Jedes schickt er unterschrieben und meist datiert an den Bremer Kaufmann Friedrich Wilhelm Oelze, den er das nächste Jahrzehnt zum persönlichen Resonanzpartner seiner Literatur bestimmt. Für diesen fernen, doch eindeutig verorteten Leser gestaltet Benn die Gedichte als Souvenirblätter, in denen sich die Gedichte an den Klischees der Poesie ebenso reiben wie am bürgerlichen Menü einer Stadthallengaststätte. Bei Die weißen Segel wenden die Ansichtskarten die Segelmetapher ins Sportliche. (In Conrad Ferdinand Meyers Zwei Segel war sie traditionell Bild der Liebe: "Zwei Segel erhellend / Die tiefblaue Bucht! / Zwei Segel sich schwellend / Zu ruhiger Flucht! // Wie eins in den Winden / Sich wölbt und bewegt, / Wird auch das Empfinden / Des andern erregt. // Begehrt eins zu hasten, / Das andre geht schnell, / Verlangt eins zu rasten, / Ruht auch sein Gesell".) Benns Gedicht führt vor diesem Hintergrund das Denken in Metaphern ad absurdum, jene Prothese des Menschen, mit der allein er die Welt zu seinem Pendant anordnet und sich in ihr mehr oder weniger gemütlich, naiv oder ironisch einrichtet.
Film und Copyright: Thomas Ladenburger (Kamera, Ton) und Hanns Zischler (Sprecher) im Auftrag des Deutschen Literaturarchivs Marbach. #LiteraturmuseenMarbach, www.dla-marbach.de
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