Die Sinfonie Nr. 9 in Es-Dur op. 70 von Dmitrij Schostakowitsch spielt das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Jukka-Pekka Saraste. Eine Aufzeichnung vom 02.09.2017 aus dem Kölner Funkhaus am Wallrafplatz.
00:00 I. Allegro
05:40 II. Moderato
13:43 III. Presto
16:31 IV. Largo
19:30 V. Allegretto — Allegro
WDR Sinfonieorchester
Jukka-Pekka Saraste, Leitung
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○ Werkeinführung
"Zirkus, Zirkus" – diese Worte soll Dmitrij Schostakowitsch vor der Uraufführung nervös vor sich hingemurmelt haben. Hohe Erwartungen haben die Arbeit an der symbolträchtigen neunten Sinfonie im Sommer 1945 begleitet. Die Sinfonie Nr. 9 soll Schostakowitschs Kriegstrilogie vollenden. Nachdem die Siebte den Kampf um Leningrad thematisiert und die Achte die Schrecken des Krieges vermittelt hatte, würde die neunte Sinfonie den Sieg der glorreichen Roten Armee feiern. Vor der Uraufführung am 3. November 1945 in Leningrad ist der Komponist sicher, dass der letzte Teil der Trilogie nicht gefallen wird. Es ist keine monumentale Siegesparade, sondern eine ironische Groteske in fünf Sätzen.
Die Worte "Zirkus, Zirkus" liefern tatsächlich einen Schlüssel zu dieser überraschend kurzen Sinfonie. Schostakowitsch weiß, dass es in der Stalinzeit lebensgefährlich ist, die Erwartungen der Kulturpolitiker zu unterwandern. Dennoch bevölkert er die imaginäre Manege seiner Neunten mit Tieren. Am Anfang steht ein übermütig schneller Marsch, in dem Vogelstimmen und heisere Quartsprünge die heiteren Streichermelodien und martialischen Kriegssignale umflattern. Der Uraufführungskritiker Marian Kowal hat die Doppelbödigkeit dieser naiven Szene mehr als nur erahnt: "Der alte Haydn und ein waschechter Sergeant der US-Army, wenig überzeugend auf Charlie Chaplin getrimmt, jagten im Galopp mit allen Gebärden und Grimassen durch den ersten Satz dieser Symphonie." Wie treffend der Vergleich mit dem chaplinesken Humor ist, offenbaren die Anspielungen, die Schostakowitsch in diesem Satz versteckt.
Mit den Vogelstimmen und den groben Quartsprüngen, die wie Eselsschreie klingen, zitiert er Gustav Mahlers Lied vom "Lob des hohen Verstandes", in dem ein Esel zum Schiedsrichter zwischen dem Gesangswettstreit einer Nachtigall und eines Kuckucks ernannt wird. Der dumme Esel mit den "Ohren groß", der sich für den einfachen Gesang des Kuckucks und damit gegen die Nachtigall entscheidet, ist von Schostakowitsch mit großer Wahrscheinlichkeit als Karikatur Stalins gemeint. An den kammermusikalischen, langsamen zweiten Satz schließt sich ein Scherzo an, das zwar von einem furiosen Vogelkonzert eröffnet, jedoch von zunehmenden Einbrüchen verunsichert wird und mit düsterem Ernst in den langsamen vierten Satz überleitet. Wie aus dem Nichts tauchen hier tiefe Blechbläser und das Fagott auf. Weite Streicherflächen lassen die wüstenartige Ödnis von Schostakowitschs späten Streichquartetten erahnen. Es sind keine einfachen und eindeutigen, sondern äußerst vielschichtige und kontrastierende Stimmungen, die er in dieser Sinfonie entwirft, die mit einem übermütigen Schlusssatz endet.
Keiner der fünf Sätze erfüllt die Erwartungen an eine hymnische Siegesfeier. Der fast vierzigjährige Komponist kennt seine Kritiker, er ist sich sicher, dass sie seine Neunte "vernichten" werden. Ebenso sicher ist er allerdings, dass die Musiker sie "mit Vergnügen" spielen werden. Damit liegt er richtig. Die doppelbödige Siegessinfonie gehört heute zu den meistgespielten Orchesterwerken des Russen. Das WDR Sinfonieorchester hat sie zum ersten Mal am 18. November 1954 unter Wolfgang Sawallisch aufgeführt und in den neunziger Jahren – unter der Leitung des ehemaligen Schostakowitsch-Studenten und -Experten Rudolf Barschai – alle 15 Sinfonien studiert und auf CD eingespielt.
(Text: Martina Seeber)
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